Das Leben der Anderen #7: Taxi-Micha aus Berlin

© Matze Hielscher

Micha ist ein streitlustiger Mensch. Das merkt man sofort. Er lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen und von niemandem sagen, wo es lang geht. Seit Jahren streitet er schon mit dem Finanzamt – nicht um seine Steuer selbst, nein, es geht um eine Formalie und er kämpft für das Prinzip. Und sieben Euro. Ja, der 53-jährige ist konsequent in dem, was er tut. Seit bald 30 Jahren fährt er Taxi und hat so manches Abenteuer zu erzählen. Aber so richtig aufbrausend wird er beim Thema Finanzamt. Vermutlich nicht der einzige in Berlin.

Das Taxifahrer-Klischee, dass hinter dem Steuer Jazzmusiker und gescheiterte Geisteswissenschafts-Doktoranden sitzen erfüllt er nicht. Taxi-Micha hat ganz solide in der DDR eine Ausbildung zum Kraftwagenfahrer gemacht und sich dann für's Taxifahren entschieden, weil »das war sehr lukrativ wegen dem Trinkgeld!« Im Osten habe man sein Geld ja sowieso für nichts ausgeben können, da haben die Leute erst recht noch was dazugegeben: »Man konnte sich keinen Farbfernseher koofen, auf'n Auto musste man zwölf Jahre warten - bleibt nur noch die Dienstleistung und da war'n die Leute großzügig.« Das Geld hat dafür gereicht, sich später eine gebrauchte Mercedestaxe zu kaufen. Seit der Wende fährt er nun auf eigene Rechnung und ohne sich einen Wecker stellen zu müssen. Das ist der Luxus von Taxi-Micha: Kein Wecker.

Als Fahrgast hat man einen Panoramaausblick in seinem Auto, weil Micha die Kopfstütze des Beifahrersitzes dafür abgeschraubt hat, wie er stolz erzählt. Allerdings ist es auch nicht nur spassig mit ihm: Wer ihm blöd kommt, fliegt raus. Dabei gerät er gern mal mit »den Türken« aneinander. »Ick bin ja kein Nazi, aber dit temperamentvolle...«, das sei manchmal schwierig. Er meint das gar nicht böse, aber er drückt sich auch so ruppig aus, wie er eben ist. Dass das sensiblere oder nervösere Fahrgäste vielleicht nicht so gut vertragen, das kann man sich gut vorstellen. Würde man nach einer authentischen Berliner Schnauze suchen, dann wäre Taxi-Micha die Idealbesetzung. Micha sagt schon Bescheid, wenn ihm etwas nicht passt. Dazu gehören auch Pärchen, die sich auf der Rückbank zu nah kommen wollen: »Da haben mir zwei Frauen Geld jeboten, damit ick se mal allein lass', aber nee, das is' nicht. Ich hab denen dann gesagt, hört zu, ick bin auch nur'n Mann und muss mich auf die Straße konzentrieren.« Sie haben ihn als homophob beschimpft.

Eine gute Einstiegsfrage bei Taxifahrern ist immer, sie nach ihrer längsten Fahrt zu fragen - da kommt immer was, auch bei Micha. »Einmal, hab ick mit einem anderen Kollegen zusammen eine Gruppe von Berlin nach Utrecht kutschiert. Warum, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht hatten die was dabei, was se nicht in der Bahn transportieren wollten, vielleicht Drogen«, spekuliert er.
Seine privat längste Fahrt ging nach der Wende nach Amerika. »Ick habe meinen Trabbi in Rotterdam verschifft und bin nach Amerika jeflogen.« Zehn Monate ist er da rumgefahren, hat in Miami und Las Vegas gelebt und sich mit Jobs über Wasser gehalten. Alles mit dem Trabbi, mit dem er dort für ganz schön viel Aufsehen gesorgt hat und der vom Zoll für ein Militärfahrzeug gehalten wurde. »Den hatten se nicht im System«. Er grinst und freut sich, wenn er davon erzählt, wie er mit seinem schlechten Englisch die 42te Straße gesucht hat und sich in Las Vegas nur in Casinos ernährt hat. »Dit is' günstig, wenn man nicht spielt. Die locken die Leute mit den ›All You Can Eat‹-Buffets damit die Leute spielen, wennde das nicht machst, kannste da ganz billig essen.«

Heute braucht er keine Fernreisen mehr. Regionalbahn und Fahrrad bringen ihn überall hin wo er hinmöchte und die Berliner Eisbären, sein wilder Hund Rudi und ein kleiner Streit mit dem Finanzamt reichen zum perfekten Glück.

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DAS LEBEN DER ANDEREN erscheint in freundlichster Kooperation mit GREATEST Berlin.

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