ARTVERGNÜGEN #58 – Traut euch!

Jedes Mal kurz vor dem ersten Dienstag des Monats glühen bei Artvergnügen-Kollegin Verena und mir die Leitungen. Das sind die Tage vor Erscheinen unserer 10 Ausstellungstipps für den kommenden Monat, die Tage, in denen das Wort Deadline über unseren Köpfen schwebt und wir in gefühlten Betonschuhen der Zeit hinterherrennen. Dann schmeißen wir uns Galerie- und Künstlernamen um die Ohren und zwingen uns zum Wachbleiben bis der Artikel steht, bei Mit Vergnügen auf dem Tisch liegt und wir beide ruhigen Gewissens und rotweinbeseelt einschlafen können.

Neulich fragte ich mich aber, warum das Feedback auf unsere Tipps oftmals ausbleibt und auch Freunde eher vorbehalten an Kunst rangehen. Ich glaube, dass es daran liegt, dass viele Menschen noch immer Hemmungen haben, ihre Freizeit in den White Cubes dieser Stadt zu verbringen und unseren Tipps tatsächlich zu folgen.

Jeff Koons © Jeff Koons. Courtesy Gagosian Gallery. Photograph by Robert McKeever.

Jeff Koons Balloon Dog © Fadwebsite

Verstehen kann ich das gut. Als ich selbst noch in einer Galerie arbeitete, hielt sich der Besuch von Freunden sehr in Grenzen. Sie befürchteten, nicht die richtigen Schuhe oder Klamotten zu tragen oder nichts mit dem anfangen zu können, was gerade ausgestellt wird. Wiederum beobachte ich immer wieder, dass sich bei Instagram & Co. gern mit Kunst geschmückt wird – es scheint dann fast unmöglich, eine Ausstellung zu besuchen und das der Welt nicht mitzuteilen. Es gibt aber eben auch Menschen, die zum ersten Mal eine Galerie besuchen und manchmal eine Stunde nicht von einem Werk loskommen, weil es sie so einnimmt.

Also sage ich: Traut euch! Traut euch, diese wahnsinnig vielseitige Kunststadt zu erleben, traut euch in die Galerien, egal mit welchen Schuhwerk und traut euch, die gut frisierten, Schwarz tragenden Menschen dort zu fragen, was ihr nicht versteht. Glaubt mir, die freuen sich darüber zu reden. Kunst ist überall und Galerien fast immer kostenlos – das solltet ihr nutzen. Auch wenn ihr euch vielleicht bei jedem zweiten Werk denkt, dass die dreijährige Nichte das besser könnte.

Jeff Koons Woman in Tub © Ralph Orlowski/Getty Images Europe

Vielleicht fangt ihr an einem Samstagnachmittag rund um die Auguststraße oder die Potsdamer Straße an. Besucht den Hamburger Bahnhof, den Martin-Gropius-Bau oder schaut euch die alten Schinken im Bode-Museum an, um euch mit einem "Ah! Belliiisima!" neben den italienischen Rentnern einzureihen und eine eigene Studie zu Knubbelnasen in der flämischen Portraitmalerei des 15. Jahrhunderts zu erstellen. Vielleicht traut ihr euch sogar auf Vernissagen. Da kann man herrlich Menschen beobachten und meist sogar mit den Künstlern reden.

Aber es stimmt schon: Der Kunstmarkt ist ein großer Zirkus; es geht um Ansehen, Geld und Erfolg und leider immer zu wenig um die Freude an der Kunst. Warum also nicht anfangen, sich den Spaß zurückzuholen. Kunst macht wach, lässt nachdenken, ist manchmal einfach nur absurd, manchmal wunderschön, manchmal nur ein bunter Flecken auf der Leinwand, aber immer eure Zeit wert.

Mel Ramos Banana Split © Focus

Mel Ramos – Banana Split © Museum Villa Stuck, Foto: Katrin Schilling

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