ARTVERGNÜGEN #40 – featuring Stephane Leonard

© Verena Schwarz

Stephane Leonard ist Maler, Zeichner, Sound- und Videokünstler. Im Laufe eines Nachmittags wechseln wir gemeinsam Orte. Wir besuchen Plätze seines Schaffens, seiner Inspiration und reden dabei über seine Arbeit. Einsteigen bitte

Schauplatz 1: Studio naivsuper+/ Pogo Books (Claudio Pfeifer und Stephane Leonard) in Rummelsburg

Zur Vorbereitung unseres Treffens klicke ich mich durch Stephanes 165 Seiten starkes Portfolio. Zwischen Zeichnungen und Videoarbeiten entdecke ich in seinem vermeintlich diffusen Gesamtwerk wiederkehrende Muster und Themen. Von einem roten Faden zu sprechen würde unterstellen, Stephane folge einer Strategie. Tut er aber nicht, zumindest nicht bewusst.

„Ich habe immer gedacht, meine Arbeiten hingen nicht miteinander zusammen. Erst als ich mein erstes Portfolio erstellt habe, habe ich Parallelen erkannt. Meine Arbeit geht in Wellen und Kreisen und irgendwann überschneiden sich diese Kreise.“

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Stephane spricht nicht nur von natürlichen Formen. Sie durchziehen inhaltlich seine Arbeiten, auch schon vor knapp zehn Jahren, als er seine aktive Laufbahn mit einem Kunststudium an der HfK Bremen startete; die Zeit als Graffitisprayer ist hier nicht mit eingerechnet. Seine Traumsequenzen ähnelnden Videos wie zu Bodi Bill‘s What?! und Brand New Carpet gäben als Stills begehrenswerte Postermotive her. Als ich weiter blättere, erkenne ich in einer Zeichnung die Szenen eines Videos wieder. Dass ihm Skizzen als Skripte dienen, ist nicht ungewöhnlich, wohl aber, dass sowohl das bewegte als auch das stille Bild als eigenständige Arbeiten bestehen. In seinen neuen Großformaten schweift er in die Übernatur.

“Ich finde es nicht wirklich spannend, wenn es zu konkret wird. Bei Einsatz von Licht und Nebel in meinen Videos geht es nicht um den Effekt, sondern darum, nicht zu deutlich zu zeigen, was eigentlich gesagt wird. Ich möchte keine Behauptungen aufstellen. Ich versuche nicht, was zu erklären oder mich allzu offensiv zu beschweren.“

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Mich interessiert auch seine Anatomieserie, die aus kindlich-simplifizierten Zeichnungen von Körpern und Hirnen besteht, zu der ihn „100 Diagrams That Changed the World“, „Data Flow“ (1+2) und „Cartographies of Time“ inspiriert haben.

“Es geht darum, dass wir diesen Körper haben und versuchen uns diesen zu erklären. Als die Menschen damals damit angefangen haben, Dinge wissenschaftlich zu erklären, wurden diese in anatomischen Illustrationen in farbige Bereiche unterteilt. Ich lege also nur irgendeinen Bereich auf dem Blatt farbig fest und behaupte, dieser Bereich hätte eine konkrete Zuständigkeit. Das Ganze paart sich mit meinem Interesse für Diagramme und der Art, wie wir versuchen universelle Informationen mit Bildern zu beschreiben.“

Stephane hat einen Sessel an die Fensterfront im Fabriketagenatelier gezogen. Davor geht die Sonne über der Rummelsburger Bucht unter. Bis zum Sonnenuntergang können wir heute aber nicht warten. In Woltersdorf hat Stephane ebenfalls ein Atelier und zugleich sein Zuhause. Wenn ich dann mit dem Rad zurückfahre, solle ich mich vor den Wildschweinen hüten, warnt er mich schon mal vor.

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Schauplatz 2: Stephanes Auto, zwischen Rummelsburg und Woltersdorf

Im April ist Stephane mit seiner Freundin rausgezogen, dorthin, wo sich Fuchs und Wildschwein „Gute Nacht“ sagen. Der nächste Schritt sei dann ein Haus in Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern oder in Portugal. Freunde wären dort seine Nachbarn, eine Scheune würde ihm als Atelier dienen. Letzteren Lebenstraum hat er bereits realisiert. Doch dazu später mehr. Und warum entschied er sich für den Wegzug von der vermeintlichen Inspirationsquelle Berlin? Stephane braucht Freiraum zum Arbeiten.

“In vielen Videospielen konnte man damals nur nach Links und Rechts gehen, musste Münzen einsammeln, konnte sich aber nicht richtig entfalten. Der einzige Bereich, wo ich mich nicht beschränkt fühlte und fühle, ist die Kunst. Das ist ein bisschen romantisierend, aber gleichzeitig auch, was es schwierig macht: Man wacht morgens auf und weiß nicht genau, was man zu tun hat.“

Zu mehr Struktur verhelfen ihm Kooperationen, beispielsweise mit Musikern des befreundeten Labels Sinnbus Records oder seine Studiogemeinschaft mit Claudio von Pogo Books. Außerdem gibt ihm die bevorstehende Ausstellung einen Rahmen vor. Und eben sein Zuhause.

Schauplatz 3: Zuhause und Atelier in Woltersdorf

Durch ein Gartentor betreten wir das Grundstück. Es umfasst ein Haupthäuschen – innen holzverkleidet, außen mit Spitzdach - dazu ein separates Gartenhaus, welches er für befreundete Gäste aus der Stadt ausbauen möchte, einen Pool, eine Garage und ein Zelt. Zwischen den Bäumen hängt eine Hängematte. Wie ein Sommerlier spricht Stephane vom Reifeprozess:

“Die Sachen müssen eine Weile hängen, ehe ich entscheide, ob sie so bleiben können. Auch Gerhard Richter hat zwei Ateliers: Er lässt die finalisierten Bilder von einem in das andere Atelier bringen, wo sie circa sechs Wochen reifen müssen, ohne dass daran was gemacht wird. Und erst dann wird das Bild für fertig erklärt.”

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Die lokale Trennung von Stephanes Studios in Rummelsburg und Woltersdorf bestimmt vor allem das jeweilige Medium: In Rummelsburg entstehen die feineren Arbeiten, primär Zeichnungen wie die der Serie SHINE, welche er im Winter im STAUB Shop zeigte, und Videoarbeiten, in Woltersdorf die großformatigen Leinwände. Im Zelt findet das Grobe statt. Am Boden sind Acyllackspuren, es riecht ungesund. In der Garage lehnen die Bilder zum Trocknen. Jene, die es in das kleine Arbeitszimmer im Haus geschafft haben, werde ich vermutlich so in der bevorstehenden Ausstellung zu "YOU ARE MY FREEDOM / I AM YOUR PRISON" wiedersehen.

„Zunächst wollte ich die Rahmen neu bespannen, doch dann hab ich mich entschieden, sie mir zu Eigen zu machen, die Aufdrucke zu behalten, aber verschwinden zu lassen. Mit jedem Pinselstrich habe ich die Informationen zwar verdeckt, aber hinter Lackschichten aufgehoben. Die Informationen stehen stellvertretend für all die Dinge die wir nicht wissen, nicht sehen, nicht verstehen. Ich will, dass du weißt, dass das Bild mehr als nur Farbe ist, diese dich zwar zum Hinschauen verführen soll, es aber am Ende nur ein Lichtreflex ist. Das Bild ist eine Täuschung, eine Fatamorgana, aber ist es deshalb weniger real? Das Werk arbeitet mit deiner Vorstellung.”

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Stephane, welcher Künstler ist dir eigentlich ein Vorbild?
Robert Motherwell, Cy Twombly und Paco Knöller, mein Meistervater an der UdK. Knöller hat damals in der Klasse von Beuys studiert. Beuys ist also sozusagen mein künstlerischer Großvater.

Und wo möchtest du deine Arbeit unbedingt mal gezeigt sehen?
Auf der Biennale in Venedig und bei der documenta. Das ist dann so eine Art Adelsschlag. Und außerdem wünsche ich mir, irgendwann im Museum Brandhorst in München neben Cy Twombly ausstellen zu dürfen; das dauert wohl noch etwas.

Und zum Abschluss noch deine liebsten Ausstellungsorte in Berlin?
Ich mag ST.AGNES, die neue Kunstkirche von Johann König, aber auch die Contemporary Fine Arts Galerie hat tolle Räume. Außerdem Sprüth Magers und selbstverständlich den Hamburger Bahnhof. Ansonsten freue ich mich auf die hoffentlich baldige Wiedereröffnung der Galerie Frühsorge, eine Galerie für Zeichnung.

Unser Gespräch hallt noch nach, während ich Woltersdorf per Rad durch den Wald verlasse. Wildschweine habe ich übrigens keine gesehen.

Diesen Donnerstag, am 18.Juli, eröffnet um 19.00 h Stephanes Ausstellung YOU ARE MY FREEDOM / I AM YOUR PRISON in der Galerie im Turm. Gelegenheit zur Besichtigung habt ihr dann bis 01.September. Vor der Tür findet außerdem die Vernissage von Tiziana Jill Beck statt.
Hier geht’s zur Facebook-Eventseite.

Galerie im Turm: Frankfurter Tor 1
Di-So, 12 – 19.00 h

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