"Was war das denn?" – Wir stellen euch 3/4 deutsche Filme vor, die im Wettbewerb der Berlinale liefen.

Die Berlinale geht zu Ende und wir waren nicht nur ein bisschen auf Filmpartys unterwegs, wir saßen auch verkatert im Kino. Da bekam man dieses Jahr wieder einiges Tolles zu sehen. Unter anderem vier deutsche Filme im Wettbewerb. Neben dem alten Hasen Dominik Graf sind zwei junge Regisseure und eine Regisseurin zum allerersten Mal dabei. Das ist eine ziemlich große Sache. Ein echter Ritterschlag für einen deutschen Arthaus Film. Heute Abend wird der goldene Bär verliehen. Wir drücken die Daumen und stellen euch drei deutsche Filme im Wettbewerb von Dietrich Brüggemann, Edward Berger und Feo Aladag vor.

JACK von von Edward Berger

Jack hat ein Problem. Seine Mutter hat sich verliebt und ist einfach mal für ein paar Tage weg. Er und sein kleiner Bruder stehen vor verschlossenen Türen und kommen drei Tage lang nicht in die Berliner Wohnung. Jack ist selbst erst zehn Jahre alt und hat plötzlich die Verantwortung eines Erwachsenen. Und er nimmt sie an. Ivo Pietzker spielt diesen Jack mit einer Sicherheit und Wahrhaftigkeit, die einen umhaut. Die Kamera ruht oft und lange auf seinem verschlossenen Gesicht, das so wenig preis gibt und einem komischerweise doch fast mehr erzählt, als man aushalten kann. Jack handelt, er ist stolz und praktisch und trotzt jedem Knüppel, den ihm das Leben und die Erwachsenen in seinem Umfeld zwischen die Beine werfen. Er liebt seine Mutter weiterhin stoisch und bedingungslos und er stellt sich entschieden optimistisch der Aufgabe mit seinem kleinen Bruder vier Tage lang auf der Strasse zu überleben. Dieser Stolz des kleinen Protagonisten ist das eigentliche Kunststück des Films. Edward Berger, bisher in erster Linie Fernsehregisseur, hat das Buch zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Nele Müller Stöfen geschrieben. Er wollte einen Film “ohne Fett” machen. “Nur Haut und Knochen, karg und klar” und beschreibt den Film dennoch als “eine Geschichte vom Glauben an das Leben, daran, dass die Zukunft ein gutes Versprechen ist.” Dieses Paradox ist ihm gelungen. Der Film umschifft Sentimentalität, Sozialromantik und Mileuvoyeurismus, und entwickelt eine große emotionale Kraft, indem er konsequent und nahtlos bei seinem Protagonisten bleibt. Die Zuschauer im vollbepackten Haus der Berliner Festspiele bleiben still im Kino sitzen bis der spärlich bestückte Abspann dieses kleinen Films vorbei ist und das Licht wieder angeht. Zwischen den Reihen rascheln die Taschentücher. Auf der Pressekonferenz zu Jack meldet sich eine mexikanische Journalisten und fragt betroffen, ob so etwas hier wirklich passieren würde in Deutschland. In Mexiko gäbe es das ja nicht.

KREUZWEG Dietrich Brüggemann

Nur vierzehn Einstellungen hat dieser Film. Sie sind jeweils bis zu 15 Minuten lang und die Kamera bleibt meistens unbewegt. Dietrich und Anna Brüggemann erzählen die Geschichte von Maria Göttler und ihr Name ist Programm. Maria ist vierzehn und lebt in einer erzkatholischen Familie. Sie wird von ihrer Mutter und ihrer Kirche mit einer solchen Absolution und Härte den zehn Geboten unterworfen, dass sie schliesslich daran zerbricht. Der Film erzählt Marias Weg analog zu Jesus’ Kreuzweg in vierzehn Stufen, programmatisch eingeleitet durch die Titel der biblischen Tableaus. Puh. Genau. Ziemlich harter Tobak. Das Vergnügen dieses Films ist zugegebenermaßen ein eher Intellektuelles. Einerseits ist der Film in seinem Formwillen und der Darstellung seiner Figuren so überzeichnet, dass er ins Ironische kippt. Man glaubt es kaum, aber ich war in keinem Film auf dieser Berlinale, in dem so viel gelacht wurde, wie in Kreuzweg. Mal wegen dem schwarzen Humor, mal aus Hilflosigkeit ob der plötzlichen emotionalen Wucht. Die Darstellung der katholischen Kirche in Anlehnung an die Glaubensprinzipien der Pius Brüderschaft tun ihr übriges, so fremd und so extrem sind ihre Prinzipien, dass man sich überhaupt gar nicht damit identifizieren kann. In der ersten Szene des Films macht Marias Pfarrer erst einmal für die Kinder der Gemeinde und die Zuschauer im Kino 15 Minuten katholischen Frontalunterricht. Er möchte die Kinder zu ‘Gottes Soldaten’ erziehen und warnt sie eindringlich vor den ‘satanischen Rhythmen der Popmusik’. Am Ende dieser langen Predigt greift sich Maria müde einen Keks aus der Porzellanschale und der Pfarrer sagt furchtbar jovial, diesen Keks könnte sie doch zum Beispiel mal einfach zurücklegen und nicht essen, als Opfergabe für Gott. Das Kino lacht. Ziemlich bald aber bleibt einem dieses Lachen im Halse stecken. Denn Maria versinkt in in einem Strudel aus Schuld. Sie hat das Gefühl, sie muss schon eine kleine Notlüge oder einen einfachen Gedanken über ihr Aussehen sühnen und opfert schliesslich nicht nur jeden Keks, sondern bietet schliesslich Gott ihr ganzes Leben als Opfergabe an. Anna Brüggemann sagt, “Wer Kindern in diesem Alter erzählt, ein höheres Wesen könne in jeden Winkel seines Herzens hineinsehen und dort Sünden ausfindig machen, missbraucht sie seelisch" und diesen komplexen Sachverhalt verdichtet der Film sehr präzise und emotional. Als der Abspann beendet ist, lacht vor mir entrüstet ein Mann in die Stille: “Was war das denn?”.

ZWISCHEN WELTEN von Feo Aladag

Der deutsche Soldat Jesper (Ronald Zehrfeld) wird im Kunduz stationiert und erhält das Kommando über einen Außenposten in sehr unsicherem Gebiet. Hier soll er zusammen mit einheimischen Milizionären die afghanische Bevölkerung vor den Taliban schützen. Die deutschen Soldaten laufen in ihrer Hightechausrüstung wie Ausserirdische durch die kleinen afghanischen Dörfer in der trockenen roten Landschaft. Schnell kommt es zu Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnissen unter den Soldaten, die auch der afghanische Übersetzer Tarik nicht lösen kann. Er beginnt absichtlich falsch zu übersetzen um die schwelenden Streits zu schlichten. Tarik wie Jesper reiben sich auf zwischen zwei Welten, die nicht zusammengehen wollen. Jespers Soldaten essen schon mal teilnahmslos Brötchen, während die afghanischen Kollegen im Kreuzfeuer einen toten Kameraden bergen um ihn begraben zu können. Die afghanischen Soldaten verprügeln zur Strafe brutal einen Kameraden der während seiner Schicht gekifft hat, ein deutscher Soldat schafft es nicht, eine schwer verletzte Kuh zu erschießen. Eindringlich zeigt Feo Aladag wie aussichtslos und undankbar die Rolle der stationierten deutschen Soldaten ist und wie gefährlich andererseits die Kooperation mit den ausländischen Truppen für jeden einheimischen Afghanen. Sehr deutlich wird die so unterschiedliche Ausgangslage. “You have the clock, but we have the time” sagt einer der Milizionäre. Am Ende kann Jesper wieder nach Hause fliegen, aber Tarik muss bleiben.

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