Videopremiere: "Lieber allein" von Heinrich

Sie sind Geschwister, sie machen Elektropop, sie kämpfen mit Schubladen, dem Misstrauen der neuen Generation und singen über das Alles-Oder-Nichts-Gefühl. Heinrich ist die Band von Stefan, Michael und ihrer Schwester Susanne, die man eigentlich schon aus dem Literaturbetrieb kennt. Ihr Video zur ersten Single "Lieber allein" kann man seit heute angucken und sich fragen.. Halt, nein. Das Fragen haben wir für euch übernommen. Und mit den Dreien über die Liebe gesprochen.

Ihr nennt euch, wie ihr heißt. Heinrich ist euer Familienname...

Susanne: Ich wusste immer, dass wir so heißen würden! Aber wir mussten uns überwinden. Klar haben wir uns gefragt: Wie offen kommunizieren wir unser Geschwistersein? Dabei ist uns klar geworden: Das ist der Kern der Band. Wir haben angefangen, miteinander Musik zu machen, weil wir angefangen haben, uns kennen und lieben zu lernen.

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Familienliebe ist ja auch eine Form von Liebe - Ihr singt aber dann doch über die klassische Liebesliebe einer Beziehung.

Stefan: Wie alle Bands haben auch wir ein Spektrum an Themen, über die wir gern schreiben. Zwischenmenschliches ist uns wichtig, in anderen Songs thematisieren wir auch Freundschaft und Familienliebe. Aber da die Suche nach erfüllenden Liebesbeziehungen zu unseren Leben gehört, schreiben wir auch darüber, natürlich.

Michael: Ich glaube, für uns alle drei ist die „Liebesliebe“ gerade ein Thema, mit dem wir ziemlich kämpfen – und das wir ganz unterschiedlich angehen. Mit Dating Websites, besoffenen Clubknutschereien, mit den Freunden der beiden Geschwister. Ich sag jetzt aber nicht, wer was davon macht.

Das Gefühl im Lied ist ja ein klarer Standpunkt, eine Hommage an das klare Wissen, was man möchte und warum. Vielen Menschen fällt es schwer, zu sagen: "So stelle ich es mir vor mit jemandem, mit dir - und wenn das nicht geht, suche ich nichts anderes sondern bleibe allein, das ist mir lieber." Warum ist das wohl so, was glaubt ihr, also dass das Menschen so schwerfällt?

Susanne: Weil allein sein, oder mit sich sein, schwer ist. Weil warten und aushalten schwer ist. Wir sind ja trotzdem allein - nur eben in provisorischen Beziehungen und Affären, die wir lieber austauschen anstatt gemeinsam an etwas zu arbeiten, das vielleicht mehr wert ist als Selbstverwirklichung.

Michael: Ich hatte bis vor zwei Jahren noch ein romantischeres, absoluteres Bild von der Liebe, mit zwei Leuten, die sich 100% füreinander und für immer entscheiden. Dann haben sich unsere Eltern auf einen Schlag getrennt und ich bin nach Berlin gezogen, naja. Ich glaube, es geht vielen in unserer Generation so, dass ihnen genau dieses Sich-Entscheiden vorgelebt wurde und gründlich gegen den Baum gelaufen ist. Das macht unsicher und misstrauisch. Generation Wankelmut, haha.

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Im Lied werden Liebe und Leben ausgereizt - es wird gesungen von der großen Tour, der großen Reise, dem vollen Glas, dem großen Haus, alles riesig. Darf man sich mit weniger nicht zufrieden geben?

Susanne: Ich finde, wir leben in einer Zeit des „Alles irgendwie okay“. Wir können immer auch die Gegenposition verstehen, uns anpassen. Wir träumen zu wenig, sind zu schnell erwachsen. Wir wissen, was von uns erwartet wird, aber nicht, was wir wirklich wollen und was uns gut tut. Wir stehen nicht zu unseren Entscheidungen sondern lieber mit Ironie drüber. „Alles oder nichts“ ist eine kindische Haltung - und damit total unpopulär. Mir ist die Idee aber sehr nah, ich hab immer so gelebt. Ich bin damit auch oft genug gescheitert, aber das ist eben meine Fortbewegungsart: zwei Schritte vor, hinfallen, aufstehen, weitergehen. Am Ende bin ich so genauso schnell wie alle anderen. Erwachsen werden ist gut, Kompromisse sind notwendig - aber ich glaube, Träume sollten groß bleiben, damit sie die Kraft haben, uns zu leiten..

Michael: Das ist 'ne Ansage. Susanne und ich, wir haben was Größenwahnsinniges, sie noch mehr als ich. Aber es ist gut, wenn man weiß, wo man genügsam sein kann und wo man alles will. Das große Haus muss ich am Ende nicht haben – die große Tour würde ich schon verdammt gern spielen.

Vom Sound war ich etwas überrascht, beim ersten Mal hören fand ich's sehr nervig, dann musste ich das Lied nochmal hören und mittlerweile summe ich ständig den Refrain, auch weil er so gut als Haltung funktioniert, ohne einsam zu machen.

Stefan: Dann hat es ja funktioniert! Unser Ziel war nämlich, extrem nervige Musik zu machen, die sich dem Hörer subtil in den Kopf brennt. Nein, das Lied ist tatsächlich sehr verspielt, und mit Ideen fast überladen. Das ist eine Facette unserer Musik, da gibt es demnächst auch erwachsenere, aufgeräumtere und dunklere Töne von uns zu hören.

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Und das Video schwankt ja auch zwischen 90er Trash-Optik und klarer visueller, ich sage mal, neuerer Linie. Ich könnte jetzt fragen, wo ihr euch lieber einordnet, vermute aber, dass ihr sagt, ihr wollt in gar keine Schublade. Stimmt das? Schubladen können doch auch gemütlich sein, wenn man ein Kissen reinlegt.

Susanne: Die Schubladen kommen von ganz allein. Klar, wir sind Kinder der 90er, aufgewachsen mit La Bouche, Ace of Base, den Backstreet Boys und „Macarena“. Und in dem Video geht es ja um Kindheit, es werden ja auch Kinderträume ad absurdum geführt - da lag es nah, nochmal mit der Ästhetik zu spielen. Und es hat einfach auch wahnsinnigen Spaß gemacht, diese alberne Choreo zu tanzen! In der Musik bedienen wir uns ja auch überall. Wenn ich eine Kategorie benennen müsste, würde ich ohne Scham Pop sagen, denn Pop heißt heute für mich: Jeder ist gemeint!

Stefan: Wir drei sind von unseren bevorzugten Stilrichtungen und unserer ganzen Wirkung so wandelbar und mehrdimensional, dass es uns schwer fällt, zu schubladisieren. Das können Leute von außen besser beurteilen. Ich bin zum Beispiel äußerlich zwischen Punk und Urban, höre aktuell gern Soul und Hiphop, komponiere aber funky Popsongs, wenn ich nicht gerade auf Hardcore-Konzerte gehe oder auf deiner Hochzeit im Anzug Schnulzen spiele.

Meine Hochzeit? Wie schön!

Michael: Eigentlich fühlten wir drei uns schon immer als Natives der Indie-Alternativ-Arty- oder auch Anti-Pop-Schublade, heute machen wir die Musik, die wir wollen. Na gut, Stefan muss „Du bist das Beste, was mir je passiert ist“ auf Hochzeiten covern, das ist schon krass. Und trotzdem sagen Leute, es ist Pop. Cool, eigentlich.

Also auf meiner Hochzeit wird er das definitiv nicht müssen. Versprochen. Und vielen Dank.

Fotos (c) Tanja Lehmann & Stephan Springer

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