Fremd in Berlin

Seit letzten Dienstag herrscht rund um die Gehart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg Ausnahmezustand, weil sich dort ca. 40 Flüchtlinge weigern, das Gebäude zu verlassen. Das Gebiet um die Ohlauer und Reichenberger Straße ist weitläufig abgesperrt, Polizisten bewachen die Schule und die Straßen und lassen nur Anwohner durch. Die Situation wirkt fast absurd. Für jemanden, der nicht direkt vor Ort ist, kaum zu begreifen. Ein Gedanke.

Dieses Gefühl, dass Berlin eine riesige Stadt ist. Wenn man morgens von Nachrichten auf der einen Seite der Spree liest, fühlen sich diese manchmal so unglaublich weit weg an – als würde das alles gar nicht in Berlin stattfinden. Was gerade in Kreuzberg los ist, dringt nur durch die Medien zu denjenigen durch, die nicht dort wohnen. Ein wirkliches Wahrhaben will sich nicht einstellen. Muss man tatsächlich erst vorbeigehen, um zu begreifen?

Wir lesen von Nachbarn, die von den Polizeieinsätzen überfordert sind, die ihre Nachbarschaft nicht mehr wiedererkennen. Wir lesen von Sitzungen des Innenausschusses, in denen es wild zugeht. Wir lesen von Flüchtlingen, die sich von Dächern stürzen wollen, wenn das Gebäude geräumt wird. Dabei fühlt sich alles so weit weg an. Worte, Texte, Zitate. Ein Gefühl von Fremde in der eigenen Stadt, obwohl man im Bezirk nebenan lebt.

Es wird viel über die Polizei gesprochen, ein bisschen über unsere Flüchtlingspolitik. Über die Schicksale der afrikanischen Flüchtlinge redet fast niemand. Wie man sich fühlen muss, in einem fremden Land, auf einem fremden Dach. Nicht wissend, was geschieht. Froh, seine "Heimat" hinter sich gelassen zu haben. Wahre Folter hat nichts mit einer besetzten Schule zu tun.

Doch letztlich interessiert nur das, was sich leicht vermitteln lässt: Es gibt eindeutig ein Problem. Die Lösung soll Räumung lauten. Dann könnte alles gut werden. Die Flüchtlinge werden noch weiter entwertet. Alles weit weg. Sie sollen weg. Doch würden wir deren Geschichten kennen, wäre uns die ganze Situation vielleicht nicht mehr so fern, sondern näher. Gerade in einer Stadt wie Berlin sollte das möglich sein.

Die Berliner Zeitung hat einen Liveticker zur aktuellen Situation eingerichtet.


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Foto: mw238/flickr CC
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