Vom zu Hause bleiben.

Es geht nicht um Zugezogene oder Original-Berliner, wenn ich sage, dass ich es genieße, über Weihnachten in Berlin bleiben zu können. Diese Unterscheidung ist mir so egal wie Zwiebelmett und vermutlich könnte ich auch in Hintertupfingen wohnen, wenn dort das ganze Jahr über sonst alle Verrückten und Verbummelten der Welt herumrennen würden, nur eben zu Weihnachten nicht. Und ich würde es dann vermutlich auch in Hintertupfingen genießen, in dieser Zeit nirgendwo sonst hinkrabbeln zu müssen außer in mein Bett oder in die U-Bahn, die mich in kurzer Zeit zu meinen Eltern und einem Weihnachtsbaum bringt.

Im Da-bleiben-dürfen liegt mein großer Genuss dieser Tage. Ich muss nicht packen, nicht überlegen, was ich mitnehmen muss und nicht vergessen darf und sowieso, wie ich diesen Haufen Dinge so zusammenschnüre, dass er auf meinem Rücken hält und durch Zugtüren oder Sicherheitskontrollen passt. Ich muss mich nichts aussetzen, keinen zurecht gestressten Platzkartenkontrolleuren, keinen verunsicherten Heimfahrern, keinen überdrehten, keinen genervten, keinen Und-überhaupt-Menschen und keinem (falls es doch mal schneit) Verkehrschaos, ich darf in meinem eigenen Bett einschlafen und aufwachen.

Und manchmal überlege ich, sollte ich dann doch mal Auto fahren lernen, dies wirklich im Spätherbst und Winter zu tun, um 1. Witterungsfahrprofi zu werden und 2. genau jetzt einparken üben zu können. Denn die Lücken in den Straßen sind selten so groß wie in diesen Tagen. Manchmal stellen sich kleine Kinder hinein und finden irgendwas, das sie dann begeistert in die Höhe halten und ihren daneben stehenden Familienanhängseln zeigen, die sich auch wundern über dieses Stück Asphalt, das sie sonst so selten zu Gesicht bekommen, das Stück zwischen Fahrbahn und Bordstein. Jetzt kann man als Berliner endlich mal wieder den Rinnstein betrachten, welch genüsslich meditatives Moment.

Und stell dir vor, alle sind mal ganz normal, wenn man ihnen aus irgendeiner Tradition heraus Stillhalten verordnet, das funktioniert sogar in Berlin. Alles geht weiter, nur ein bisschen unaufgeregter. Die Menschen, die sonst mürrisch sind, ziehen auch jetzt die Stirn in Falten, aber dieses Mal genüsslicher, weil sie keine Angst haben müssen, dass sie jemand beobachtet. Menschen entspannen ihre Schultern und Nacken und lehnen sich zurück, rasten vielleicht hier und da auch mal ordentlich aus, aber selbst das irgendwie aushaltbarer, weil sie sich nicht sofort besorgt umdrehen, es könnte sie ja jemand gesehen haben und sofort drüber bloggen, ihren Ausraster kommentieren oder sie einfach nur mit einem stillen Vorwurf in den Augen angucken.

In diesen Tagen macht Berlin sich mal locker, endlich mal wieder locker ohne es sich direkt auf ein T-Shirt oder einen Jutebeutel schreiben zu müssen, die Parties gehen weiter, natürlich, aber niemand krakeelt darüber, denn das Publikum fehlt oder hat die Nase voll mit Kekskrümeln. Und in der Bahn zwinkert man sich beinahe zu, wenn man nicht gerade damit beschäftigt ist, sich für einen von diesen 7264 Sitzplätzen zu entscheiden. Es ist völlig wurscht, wer genau geht, und es ist auch in Ordnung, dass alle zurückkommen, es ist nur wichtig, dass alles mal kurz Pause hat, was sonst wie irre herumflattert und schnattert. Die Markisen haben Ferien, die Attitüden haben Ferien, das Tamtam hat Ferien und alle sitzen und sitzen und essen und essen und zwischendurch laufen sie herum und schnaufen durch. Und durchschnaufen ist ja mitunter das Beste, was einem Menschen oder einer Stadt oder auch nur einem Gefühl so passieren kann.

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