SCHATZ, WIR MÜSSEN MAL REDEN! ICH GLAUBE, DIE HÖREN UNS AB

© Matze Hielscher

Die Hälfte des Tages verbringe ich irgendwo im Netz, empfange Mails, schreibe etwas auf dieses Blog, telefoniere, lade etwas in meine Dropbox hoch, sende und empfange Daten. Ich denke, dass ich mit meiner Nutzung des Internets weit über dem Durchschnitt liege, versuche mir und meiner Familie aber an bestimmten Momenten eine digitale Auszeit zu gönnen. Ich dachte, dass ich bei allem, was ich so tue, ziemlich bewusst bin. Ich mache Sport, bin Vegetarier, gehe wählen. So was halt. Und in meinem Freundeskreis ist das ganz ähnlich. Wenn wir abends essen, dann sprechen wir neben der neuen Jay Z Platte auch über Netzkultur und Politik, refklektieren und diskutieren das Weltgeschehen. Doch gestern habe ich plötzlich festgestellt, dass ich bisher mit keinem einzigen Menschen über die NSA und Snowden gesprochen habe. Darüber, dass hier scheinbar im großen Stil mitgelesen wird,  meine Nutzerdaten und mein digitales Verhalten angeblich von Geheimdiensten gespeichert und ausgewertet werden und ich keine Ahnung habe, was davon, wenn ich irgendwann in die USA oder Israel einreisen möchte oder wenn ich bei einer Demonstration aus Versehen verhaftet werde, weil ich bei einem Spaziergang zwischen die Fronten geraten bin, gegen mich verwendet werden könnte. Klar, ich verfolge mit einem halben Auge, in welchem Transitbereich sich Snowden gerade befindet und lese die Überschriften mit. Aber wie sehr mich der Fall NSA und Temporar persönlich betrifft, wie sehr er uns alle hier persönlich betrifft, habe ich bisher komplett ausgeblendet. Warum?

Ich bin in der DDR aufgewachsen, mit Eltern, die zuhause nie über Politik gesprochen haben, weil sie Angst hatten. Erst weit nach der Wende saßen wir zusammen und haben über die Stasi geredet, sie haben mir erzählt, wer in unserem Bekanntenkreis ein Spitzel war. Wir sind ins Kino gegangen, haben uns "Das Leben der Anderen" angesehen und ich war wirklich berührt. Meine Mutter sagte. "Glaube ja nicht, dass das nur ein Film ist" und "Es war noch viel schlimmer." Und jetzt wo rauskommt, dass an unseren Grundrechten mit ähnlichen Mitteln gesägt wird, sitzen wir da und unterhalten uns über die Fusion und die Fashion Week.

Die erste Antwort auf die Frage, warum mich das nicht betrifft, war, dass ich ja nichts zu verbergen habe. Einfache Antwort - aber totaler Quatsch. Doch eigentlich, wenn ich genauer darüber nachdenke, ist genau das die Antwort auf mein gesamtes Nutzerverhalten bisher. Neue AGBs bei iTunes, 25 Seiten, bitte einmal bestätigen: Haken. Irgendwas davon gelesen? Natürlich nicht. Da ein neues Netzwerk. Muss man ja ausprobieren. E-Mail, Passwort. Zack. Einchecken, Auschecken. Wieder abmelden? Natürlich nicht. Die Babyfotos meines Sohnes stelle ich bewusst nicht auf Facebook, aber verschicke sie die ganze Zeit via Whatsapp. Mal darüber Gedanken gemacht, was damit passiert? Nope. Die digitale Welt hat mich wahnsinnig faul gemacht. Ich bin so auf Fortschritt und Design bedacht, dass ich mich gar nicht mehr frage, was da im Hintergrund passiert - wohin das wandert, was ich hier gerade schreibe. Und was damit gemacht wird. Ich will, dass meine digitale Nutzung einfach und unkompliziert ist. Und ich möchte die Vorteile der sozialen Netze und das digitale Angebot nutzen.

Ich habe dann gestern einen Freund angerufen, der sich den ganzen Tag mit der digitalen Welt beschäftigt und Firmen strategisch in deren digitalem Auftreten berät. Er sagte mir, dass er die letzten Wochen kaum arbeiten konnte, weil er die ganze Zeit versucht das Ausmaß zu begreifen und zwischen Lähmung und Aktionismus schwankt. "Wir wissen gar nicht was unsere Grundrechte sind. Wir wissen gar nicht mehr, was Demokratie wert ist, weil es uns viel zu gut geht" sagt er. Das stimmt: Mir geht es viel zu gut, aber das soll auch so bleiben und nicht gegen mich verwendet werden. Ich möchte mich darüber unterhalten, was wir machen können, um dies zu wahren, ich brauche Tipps, wie ich meine eigene Faulheit überwinden kann und möchte erfahren, was ihr darüber denkt. Vielleicht hier, vielleicht aber auch bei einem gemeinsamen Abendessen in großer oder kleinerer Runde.

Der Guardian hat gestern ein weiteres Interview mit Edward Snowden veröffentlicht. Snowden sagt darin: "I don't want to live in a world where everything that I say, everything I do, everyone I talk to, every expression of creativity or love or friendship is recorded," he said. "And that's not something I'm willing to support, it's not something I'm willing to build and it's not something I'm willing to live under."

Ich denke damit kann man diesen Artikel beenden.

Zurück zur Startseite