Bei Lilly im Plattenbau.

© Lisa Rank

Wenn man fragt, wo Menschen wohnen möchten, sagen sie in Berlin in unserem Umkreis meistens: "Im Altbau! Mit Stuck! Und Dielen! In Kreuzberg!" Lilly macht nicht so viele Ausrufezeichen in ihren Sätzen und ist in einen Plattenbau nach Lichtenberg gezogen. Mit Absicht.

Lilly ist 26 Jahre alt und studiert. Nebenbei arbeitet sie bei der ARD. Sie schreibt Sachen in den Videotext, was im Tatort passiert zum Beispiel. "Es gibt sogar steigende Nutzerzahlen", man glaubt es kaum. Für den Job geht sie in ein Büro, obwohl sie eigentlich glaubt, zuhause effektiver arbeiten zu können. Ihr Schreibtisch steht an der Wand, aber wenn sie sich ein bisschen zur Seite dreht, kann sie nach draußen schauen, ganz weit sogar. Auf ein Nachbarhaus, auf Bäume, Schienen, manchmal Nebel. Ich versuche mir vorzustellen, wie der Blick im Sommer aussieht. Ich habe auch mal in einem Hochhaus gewohnt, nur ein halbes Jahr lang, 9. Stock, Eimsbüttel. Lilly will hier in Lichtenberg erst einmal wohnen bleiben, das sei auch eine Geldsache.

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Vorher hat sie in Schöneberg, an der Ecke von Friedenau gelebt. Davor in Neukölln. Wenn man sie fragt, warum sie hergezogen ist, lächelt sie und antwortet: "Weil die Wohnung schön ist". Selbst wenn man sie nicht ansehen würde, könnte man hören, dass sie sich freut. Davor hatte sie eine WG, aber die hat sich aufgelöst, und nun wollte sie alleine wohnen. Zwei oder drei Wochen hat sie gesucht und sich fünf Wohnungen angeschaut. Lilly scheint es klar, ordentlich und irgendwie gerade zu mögen. Viel Weiß, wenig Schnickschnack.

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Hätte ich Lilly in ihrem Rock und mit ihrem verschmitzten Lächeln auf der Straße getroffen, ich glaube, ich hätte mir ihren Wohnort anders vorgestellt, plüschiger vielleicht. Bei Lilly ist außer den Backbüchern im Regal und den großen Kissen im Bett nichts plüschig. "Die eine Wohnung in Friedrichshain hatte nur schräge Räume und die Dielen waren so weit auseinander, dass eine Murmel darin verschwunden ist, die Badewanne hatte einen kleinen Boiler, mit dem man geradeso duschen konnte". Andere fänden das vielleicht schön, Lilly nicht. Eine Badewanne ist ihr wichtig. Die hat sie jetzt. Ebenso einen riesigen Balkon. Das seien die beiden wichtigsten Sachen neben dem Preis. Jetzt zahlt sie 350 Euro warm für 34 Quadratmeter inklusive Balkon. Die Wohnung sieht größer aus, ich weiß auch nicht genau, warum. Vielleicht liegt es daran, dass sie trotzdem vier Räume hat: Flur, Badezimmer, Wohnzimmer und Küche.

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Was ihr auffällt, ist, dass hier niemand mit Kopftuch herumläuft, das gehöre für sie eigentlich zum Stadtbild, die Leute seien hier schon anders, viele Jogginghosen, viele Achselhandtäschchen. Es gäbe hier wenig Muslime, das irritiere sie sehr, Lilly ist in Neukölln aufgewachsen: "Ich arbeite aber an meinem neuen Projekt: Lichtenberg nazifrei machen durch Weggentrifizierung!"

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Es hängen keine Poster oder andere Dinge an den Wänden, "ich habe gedacht, da nehme ich mir mal Zeit für, aber ich komme kaum dazu". Der Ausblick wirkt beinahe selbst wie ein großes Bild. Die meiste Zeit in ihrer Wohnung verbringt Lilly im Bett, weil ein Sofa nicht mehr reinpasst, oder beim Backen. Das mache sie hier am liebsten. Dabei entspanne sie. Und ein großes Bild hätte sie dann doch gern, auf das sie vom Bett aus schauen kann, ein großes Regal versperrt ihr die Sicht aus dem Fenster und trennt den Raum in Schlaf- und Arbeitsbereich. Kleidung und Kram sind hinter einem großen Vorhang versteckt, so eine Konstruktion gibt es auch im Flur.


Im Haus wohnen viele junge Menschen. Über ihr ein junger Mann, der sehr viel rülpst. Unter ihr ein älteres Paar. Und viele Tiere. "Insgesamt ein interessantes Klientel", sagt Lilly und lacht wieder. Wenn sie Menschen erzählt, wo sie wohnt, bekommt sie häufig komische Reaktionen. "Wenn man sagt, man wohnt in der Platte, sagen alle: Jaja, sehr hellhörig." Wenn sie anmerke, dass sie in zehn Minuten in Friedrichshain ist, wird sie eher verstanden. Und tatsächlich finde sie Altbau schön, aber sie sei auch froh, dass sie keine Doppelfenster mehr habe. Lilly friert eigentlich immer. Jetzt hat sie es wärmer als früher.

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"Ich wollte nie nach Lichtenberg ziehen, ich hab immer mit Neukölln oder Friedrichshain gerechnet. Und natürlich sind das Haus und der Flur richtig hässlich, aber die S-Bahn ist nah und es ist besser als Spandau. Ich musste mir die Wohnung nach dem Preis aussuchen, und jetzt mag ich sie wirklich." Die Familie hat ihr die Küche eingebaut, der Großvater ist handwerklich begabt. Dort verbringt sie viel Zeit beim Backen, das muss stimmen, ihr Blog Kuchenkram.de entsteht dort. Im Sommer ist sie viel auf dem Balkon, eigentlich habe sie keinen grünen Daumen, aber das mit dem Gemüse hat geklappt. Im Park um die Ecke geht sie laufen. Manchmal joggt sie bis nach Treptow rüber.

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Wenn sie jemanden wirklich mag, lädt sie ihn auch auf den Sofaersatz Bett ein. Nach einer stressigen Woche macht sie häufig Lilly-Tag und verbringt nur Zeit mit sich. Das braucht sie, das Alleinsein, die Ruhe. Von außen denkt man das nicht, wenn man an der Fassade des Hauses herauf schaut. Dass es wirklich ruhig ist, dort oben im 6. Stock.

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