ARTVERGNÜGEN #10 Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

Vorletzte Woche habe ich euch mit dem Versprechen zurückgelassen, ein Biennale-Special zu liefern.
Nun war ich da und bekomme das angenehme Gefühl des Eröffnungsabends, nach dem Kampf mit ehrgeizigen Ellbogen schließlich im sommerlichen Hof des KW angekommen, nicht zurück. Die Kritiken sind vernichtend, der Spiegel äußert sich unverblümt: “Alle wollen, dass die Kunst wieder politisch wird, dass sie etwas zu sagen hat zum miesen Zustand unserer Welt. Nun versucht Berlin gerade genau das mit der Biennale - und scheitert dabei auf himmelschreiend peinliche Weise.” Tatsächlich passiert hier etwas zu viel. Zentraler Teilnehmer: die Occupy-Bewegung.
Occupy Wall Street (OWS) war der Ursprung einer heute globalen Bewegung mit der Forderung nach neuen Systemen außerhalb kollabierter institutionalisierter Strukturen. Inzwischen hat die Bewegung als Occupy Museums, eine Arbeitsgruppe von OWS, auch Museen eingenommen um dort die Institutionalisierung und Kommerzialisierung der Künste in Frage zu stellen. Und so schlagen einige Aktivisten nun auch im KW ihre Lager auf, gestalten ihre Quadratmeter, bieten Workshops. Ehrlich gesagt sieht es aus wie die hinterbliebenen Reste nach einem verloren Kampf. Man weiß nicht so recht und verhält sich wie ein Zoo-Besucher. Darüber hinaus berührt die Biennale diverse unbequeme Zonen: Berek, ein Video des Chef-Kurators Artur Zmijewski, in dem Erwachsene, nackt,  in einer Gaskammer Fangen spielen, wurde im letzten Jahr aus dem Martin-Gropius-Bau verbannt. Im Raum davor ein Birkensetzlingbeet.
Die Idee: 320 Birken aus Auschwitz sollen im Berliner Stadtraum eine nicht ganz unbefleckte neue Heimat bekommen; jeder Besucher ist eingeladen, einen Setzling als Mahnmal mit nach Hause zu nehmen. In einem anderen Flügel findet man sich unerwartet vor einem überdimensionalen Jesus-Kopf, den der Bildhauer Miroslaw Patecki als Abbild des Originals, der weltgrößten Statue des Gottessohns im polnischen Świebodzin, während der Biennale aus Styropor nachbauen möchte. Und so geht es weiter im Medley der zeitgenössischen Politik, zum Israel-Palästina-Konflikt. Ein Stempel der “Republik Palästina” in den Reisepass oder doch lieber Unannehmlichkeiten an der israelischen Grenze vermeiden? Die Biennale ist das Schaufenster aktueller und vergangener Kämpfe; mal mehr im symbolischen, manchmal im wörtlichen Sinn.
Am 29. April stellten Reenactement-Gruppen im Spreepark, wo der Krieg, wie ich heute lernte, 1945 endete, die finale Schlacht nach. Die filmische Dokumentation davon findet ihr im Deutschlandhaus. Irgendwie fühlt sich das alles an wie in einem mittelmäßigen Volkstheater; und damit spiele ich nicht nur auf die Kriegsspiele an.

P.S. Ein Tipp am Rande: für die Kulturwissenschaftler, Künstler und Journalisten unter euch könnte sich die Einrichtung eines artwiki.org-Lesezeichen lohnen. Im Vorfeld der Biennale wurden internationale Künstler aufgerufen, ihre Arbeiten einzureichen und die Kuratoren über ihre “politische Neigung zu informieren”. 500O Einsendungen das Resultat, die sich nun in einem physischen Archiv im KW sowie teilweise auch im digitalen Art Wiki befinden, das als Kunstnachschlagewerk und offene Plattform die freie Zugänglichkeit von Informationen und den Austausch unter Künstlern ermöglichen soll.

7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
bis 01. Juli | Di- So, 12 – 20 h

Adressen:
KW Kunst-Werke Berlin: Auguststraße 69, 10117 Berlin
Akademie der Künste: Pariser Platz 4, 10117 Berlin
Deutschlandhaus: Stresemannstraße 90, 10963 Berlin
St. Elisabeth Kirche: Invalidenstraße 3, 10115 Berlin

Joanna Rajkowska, Born in Berlin in der Akademie der Künste und bei ZAK | BRANICKA Gallery

Was ich nicht geschafft habe ist mir Joanna Rajkowska's Film „Born in Berlin“, ein Mitschnitt der Geburt ihrer Tochter Rosa, in der Blackbox des Akademie der Künste anzusehen. Aber mir reicht auch durchaus die Vorgeschichte = Schwangerschaft, welche durch übermalte Fotografien in der ZAK | BRANICKA Gallery sehr berührend und grafisch hübsch dokumentiert ist.

Joanna Rajkowska
“Born in Berlin” und “Final Fantasies” bis 01. Juli in der Akademie der Künste
“Born in Berlin – A Letter to Rosa” bis 16.Juni im Galerienhaus

Und damit möchte ich noch einmal den Bogen spannen zu meiner letzten ARTVERGNUEGEN-Episode, mit einem Special zum Gallery Weekend. Dieses hat allgemein positiv überrascht und mal wieder seinen Zweck erfüllt, mich an neue Orte zu führen. Einen inkl. der Inhouse-Favoriten will ich hier kurz vorstellen:

Das Galerienhaus
Lindenstraße 34-45, 10969 Berlin
mit: Jarla Partilager, Galerie Zak/Branicka, Galerie Opdahl, ftc.contemporary, Galerie Volker Diehl, Konrad Fischer, Galerija Gregor Podnar, Galerie Gebr.Lehmann, Galerie Berinson, Galerie Niels Borch Jensen, Galerie Nordenhake, Jacksons

Di – Sa, 11 – 18h

Ulrich Vogl, peindre d'abord une cage bei Galerie Opdahl

Wenn ihr meiner Empfehlung von Douglas Gordon bei Niels Borch Jensen gefolgt seid kennt ihr die Location bereits. Neben Gordon und Rajkowska war ich aber auch sehr angetan von Ulrich Vogl's 'peindre d´abord une cage' in der Galerie Opdahl. Erwartet Illusionen, ein Spiel aus Licht und Schatten. Bei “Bogen” schließt sich eine an der Wand befestigte gebogene Metallstange, wenn aus der richtigen Perspektive betrachtet, durch ihren Schatten zu einem geschlossenen Oval. Ein Spiegel im Vogelkäfig bringt das Geschehnis vor dem Fenster hinter Gitter. Und in “Film 40 Minuten” erweckt ein auf der Seite liegendes Hamsterlaufrad, mit dem Diaprojektor als Licht- und Geräuschquelle, den Anschein einer historischen Filmrolle. Reduziert, raffiniert.
bis 16.Juni

Richard Long, Flint Cross bei Konrad Fischer
Schließlich spitzel ich noch bei Richard Long, Veteran der Land Art, bei Konrad Fischer vorbei. Bisher war ich der Meinung, das Genre sei ein alter Schuh, weswegen ich übrigens letztes Jahr auch nicht in seiner und der begleitenden Land Art Ausstellung im Hamburger Bahnhof war. Aber: ich hatte die Schublade zu schnell geschlossen, wusste ja nicht, dass mehr zu erwarten ist als das Arrangement von Naturmaterialien in der Landschaft. Entschuldigen Sie bitte, Herr Long, meine Engstirnigkeit. Ich hätte mal nach ART MADE BY WALKING IN LANDSCAPES weiterlesen sollen. Da heißt es nämlich PHOTOGRAPHS OF SCULPTURES MADE ALONG THE WAY. WALKS MADE INTO TEXTWORKS. Und das wiederum kann eine wirklich moderne Gestalt annehmen, die ich mir, anders als die Steinspiralen, durchaus in die Wohnung holen würde
bis 16.Juni

Bielutin bei ARTE
So, ich muss Schluss machen; gleich läuft “Bielutin” bei ARTE. “Von Paris bis New York erzählt man sich im Künstlermilieu die Legende einer fantastischen Renaissancekunstsammlung die von einem alten Paar in Moskau geheim gehalten wird.” Seit Tagen klicke ich mich immer mal wieder durch die Web-Dokumentation, absolut begeistert von dieser interaktiven Art des Dokumentar'films'. Wenn dann, wie in diesem Fall, auch noch das Thema interessant genug ist, und das Web-Special beweist's, hole ich auch gern den Fernseher aus dem Versteck und schalte quasi live ein.

Die Dokumentation ist ab 07. Mai für 7 Tage über ARTE+7 verfügbar.

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